F - FLASAR

Milena Michiko Flasar - "Ich nannte ihn Krawatte"

Ein Hikikomori, so nennt man in Japan junge Menschen wie Taguchi, die ihr elterliches Zuhause nicht mehr verlassen, um sich nicht der Umwelt aussetzen zu müssen, einer Umwelt, die Leistung fordert und Anpassung, geht nach zwei Jahren doch wieder nach draußen, in einen Park, in die Anonymität. Dort lernt er eher widerwillig Herrn Ohara kennen, anfangs saß man noch auf gegenüberliegenden Parkbänken und nahm einander kaum wahr, nach einigen Tagen aber sitzen die beiden nebeneinander auf einer Bank und beginnen dem anderen von sich zu erzählen.

 

Taguchi erzählt von seinen Leiden als junger Mensch, wie er zwei etwa gleichaltrige Freunde verloren hat, den einen durch einen Unfall, die andere, in die er sogar einmal verliebt gewesen war, wohl auch durch eigene Schuld, durch zusehen und  zulassen, anstatt handelnd für sie einzutreten. Diese Erlebnisse haben ihn veranlasst, sich aus der Welt zurückzuziehen, er lebt hinter verschlossener Tür bei seinen Eltern, verlässt das Zimmer nur, wenn niemand zu Hause ist, sperrte sich selbst bis vor kurzem völlig weg. Weil es eine Schande ist, einen Hikikomori zu Hause zu haben, unterstützen die Eltern diese freiwillige Abschottung und erzählen der Außenwelt, Taguchi sei im Ausland.

 

Herr Ohara hat ganz andere Probleme. Er ist von seiner Firma gefeuert worden, hat also versagt, vor Scham darüber erzählt davon seiner Frau Kyoko nichts, statt dessen verbringt er seine Tage nun im Park, tut so, als ginge er täglich zur Arbeit, für welche seine Frau weiterhin täglich die Mittagsjause zubereitet. Die Ehe ist nicht glücklich verlaufen. Traditionell über eine Ehevermittlung eingefädelt erlebte sie ihre große Belastung, als den beiden ein schwer behindertes Kind geboren wurde. Herr Ohara kann das Kind nicht akzeptieren, während sich die Mutter hingebungsvoll darum kümmert. Doch das Kind stirbt bald. Der Kitt, der die Ehe zusammengehalten hat, wird noch unelastischer, man lebt nebeneinander, meist in Sprachlosigkeit gefangen.

 

So kommen sich die beiden Figuren über Gespräche, die teilweise hölzern klingen und unbeholfen, näher, trotzdem ist das alles für mich sehr stimmig gewesen, vielleicht auch aus Unkenntnis japanischer Verhältnisse: das für mich exotisch anmutende Handeln der beiden schafft vielleicht zur seltsamen Erzählstimmung eine vernünftige Bindung. Dieses Gefühl hatte ich schon bei Flasars "Herr Kato spielt Familie".

 

Die beiden beschließen, auch aus Respekt voreinander, ihrem Leben eine Wendung zu geben. Herr Ohara wird seiner Frau, von der er vermutet, dass sie ohnehin schon alles weiß, von seiner Arbeitslosigkeit erzählen, Taguchi wird sich - als Anfang - einmal seine Haare schneiden lassen. Doch es kommt alles etwas anders, man kann aber durchaus von einem stillen Happy End sprechen.

 

Ein schöner, ruhiger Roman, die Bücher Flasars befinden sich damit endgültig in meinem literarischen Beuteschema.

 

Gelesen 2018-03

 

Milena Michiko Flasar - "Herr Kato spielt Familie"

Hr. Kato ist nun also in Pension. Er, der früher eine wichtige Position im Unternehmen, für welches er arbeitete, innegehabt hat, weiß nicht nur nichts mit seiner vielen freien Zeit anzufangen, er ist zudem zu Hause im Weg, im dem zu Hause, dessen Erhaltung oben auf der Anhöhe für seine Frau, die dies alleine erledigt, im Alter schon ganz schön anstrengend geworden ist. Mit seiner Frau verbindet ihn nur wenig mehr als die Erinnerung an die gegenseitige Zuneigung, die Rollen waren klassisch aufgeteilt, er in der Arbeit, sie zu Hause für Essenszubereitung und Putzen zuständig. Nur ist Hrn. Kato nun in der Pension seine Rolle abhanden gekommen. Ihm ist in der Tat so langweilig, dass er enttäuscht ist, als ein Arztbesuch ergibt, dass er gesund ist, denn die Einnahme von Medikamenten und die nötigen Behandlungen wären eine willkommene Abwechslung zu seiner Fadesse gewesen.

Auf einem seiner ausgedehnten Spaziergänge begegnet er Mie, die ihn als Stand-In engagiert, als eine Art Schauspieler, der auf diversen Familienfeiern bei völlig fremden Leuten die Menschen spielt, die in diesen Familien abhanden gekommen sind, sei es durch Tod oder Entfremdung von der Familie. So gibt er mal den Großvater eines Jungen, einmal einen Ehemann, der nur zuhören soll, einmal den zu einer Hochzeit eingeladenen Firmenchef.

Diese Gelegenheiten, bei denen er diese Rollen spielt, haben aber jedesmal auch sehr viel mit seinem eigenen Leben zu tun, und bald beginnt man sich zu fragen, ob nicht vielleicht die anderen Menschen, die er dabei trifft, die eigentlichen Stand-Ins sind, engagiert, ihn zu unterhalten und zum Nachdenken zu bringen. So entspinnt sich ein schönes Vexierspiel, das mir Hrn. Kato sehr nahebrachte, niedergeschrieben in ruhiger Sprache, mit der es M. M. Flasar gelingt, ohne großen Aufwand stimmungsvolle Bilder zu entwerfen. Dass Ergebnis ist allerdings groß, das schmale Buch hat genau den Umfang, um die Geschichte ausführlich und knapp genug zu erzählen.

Ein wunderbares Buch, das mich dazu animiert, Flasars andere Bücher zu lesen.

 

Gelesen 2018-02