Kehlmann, Daniel:  "Tyll"

Till Eulenspiegel und der dreissigjähirge Krieg? Geht das zusammen? Ja es geht. Denn Kehlmann versucht in diesem großartigen Buch nicht Geschichte nachzuerzählen, sondern eine Geschichte zu erzählen, und das ist ihm sowohl stilistisch wie auch sprachlich hervorragend gelungen.

Klammer für die Erzählung um die Schrecknisse des Krieges und der Dummheit ist natürlich die namensgebende Figur Tyll (Ulenspiegel). Seine Persönlichkeit wie sein Werdegang werden ebenso wie die Ereignisse des Krieges skizzenhaft gezeichnet, bruchstückhaft, verzerrt, so wie der Krieg, der schon so lang dauert, dass die darin involvierten Menschen ihn als Normalzustand erleben. Und diese Menschen sind, unabhängig vom Bildungsgrad, gefangen in ihrer Dummheit, ihrem Aberglauben, in ihrem Glauben, den sie für der Weisheit letzten Schluss halten und den sie mit allen Mitteln, Mord und Totdschlag inklusive, verteidigen. Kehlmann zeichnet die Charaktere durch gekonnte Anspielung und Auslassung, die Raum für die eigene Phantasie lassen und zumindest bei mir opulente BIlder entstehen ließen, sodass ich gebannt bis spät in die Nacht hinein gelesen habe.

Ein großartiges Buch, unbedingte Leseempfehlung!

Kermani, Navid: "Das Buch der von Neil Young getöteten"

So ungewöhnlich wie der Titel des Buches ist auch sein Inhalt. Er hat mich angezogen wie ein Magnet, einmal auf Grund seiner selbst und dann auch, weil auch ich mit der Musik von Neil Young sozialisiert wurde damals vor vielen Jahren. Die Faszination für Neil Young erfasste mich aber nie so augenscheinlich wie sie Kermani gepackt hat, ich war doch mehr ein Pink Floyd-Jünger (und bin das auch heute noch).

 

Was ist denn nun so ungewöhnlich am Inhalt des Buches? Kermani beschreibt, wie er seine Tochter, ein Schreibaby, das seine Umwelt völlig fertig macht, nur mit der Musik von Neil Young beruhigen kann. Er läßt sich dabei auf die Poesie Youngs ein, beschreibt sehr gefühlvoll, wie er sie erlebt hat, wie er Stücke aussucht, damit seine Tochter, die immer härtere Dosen der Musik benötigt, die nötige Ruhe findet - und mit ihr die Eltern und Nachbarn. Was die Mutter und Partnerin Kermanis zuerst den Kopf schütteln läßt, überzeugt sie schließlich - das kleine Mädchen findet mit dieser Musik - und zwar nur mit dieser - immer recht schnell die ersehnte Entspannung.

 

Neil Youngs Musik wird dabei ausschnittsweise behandelt, Gedanken an Youngs Texte geknüpft, über Gott und die Welt und den ganzen Rest und so entsteht eine Musikbiographie ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit: wer denn eine Neil Young-Biographie sucht, ist hier aber falsch. Es handelt sich eher um substanzielles Geplauder über einen Menschen und dessen Musik, das, wenn man diese mag, ein angenehmer und kluger Lesestoff ist.

 

Gelesen Mai 2018

Knausgard, Karl Ove: "Sterben"

Sterben(slangweilig).


Anfangs las sich das Buch recht interessant: die Beschreibung der Familiensituation mit einem jähzornigen, lieblosen Vater, einer Mutter, die der Familie nicht zur Verfügung steht, weil sie auswärts eine jahrelange Fortbildung absolviert, einem älteren Bruder, der das Haus bald Richtung Universtät verlässt. Der junge Knausgard ist also recht allein, denn auch in der Schule hat er kaum Freunde. Abgesehen von der doch eher speziellen Familiensituation, die nachvollziehbar durch Angst vor und Hass auf den Vater gekennzeichnet ist, durchlebt er eine Kindheit und Jugend wie viele andere Menschen, mit all ihren Ängsten, Unsicherheiten, vermeintlichen Befreiunggschlägen.

Doch schon im ersten, interessanteren Teil dieses Buches verfällt Knausgard immer wieder in ausufernde Beschreibungen unwichtigster Dinge (etwa die Beschaffung von Bier für den Silvesterabend), unwichtig für die Geschichte, unwichtig für die Charakterisierung der Personen, und im zweiten Teil verliert er vollends die Kontrolle über diese Art zu erzählen. Seitenlange Beschreibungen von Putzmitteln, Zubereitung von Kaffee, Gängen durch die Kleinstadt überschwappen die Handlung völlig. Dabei hätte diese sich einen exakten Focus mehr als verdient (Achtung Spoiler):

Denn der Vater stirbt - der frühere Kontrollfreak ist nach der Scheidung von Knausgards Mutter Alkoholiker geworden - im Suff im Hause seiner Mutter, also Knausgards Großmutter. Diese leidet schon an Demenz und kann sich daher nicht genau an den Hergang der Ereignisse erinnern, und in Knausgard und seinem Bruder, die zur Großmutter reisen um Begräbnis und Nachlass zu regeln, keimt der Verdacht, dass der verhasste Vater vielleicht gar nicht tot ist, dass er vielleicht demnächst wieder in der Türe stehen wird. So beginnen die beiden, nachzuforschen, wie denn alles eigentlich geschehen ist.

Diese an sich spannende Situation wird allerdings völlig übertüncht von all diesen unnötigen, seitenlangen Beschreibungen, von denen oben die Rede war. So leid es mir tut, ich kann den literarischen, künstlerischen Wert darin nicht erkennen. Bei mir wird es das einzige Knausgard Buch bleiben, dabei hatte ich mich aufgrund der enthusiastischen Rezensionen sehr darauf gefreut.

PS: ich habe nichts Grundsätzliches gegen seitenlange Beschreibungen. Das Abwasch-Kapitel in "Kruso" z.B. las ich mit Begeisterung. Da geht es um nichts als das Abwaschen von Geschirr in einem Ausflugsgasthaus. Zig Seiten lang. Spannend bis unter die Haut. So gehts also auch.

Knecht, Doris: "Alles über Beziehungen"

Gruber geht. Viktor kommt.


Allerdings kommt Viktor deutlich zu oft. Nicht nur aus der Sicht seiner Lebensgefährtin, mit der er drei Kinder hat (nebst zweien aus früheren Beziehungen), denn er hat Seitensprünge galore, sondern auch aus meiner Sicht. Was Knecht da ausbreitet an Fremdgeh-Aufreiss-Narzissmus-Sexgeschichten mit Viktor und seinen Gschpusis ist zwar meist formal gelungen aber an Umfang einfach viel zu viel.

Auf ca. 180 Seiten werden Viktors Sexgeschichten aufgezeichnet, meist nach dem gleichen Muster initiiert, da hätten drei Stück davon und einige wenige Andeutungen schon alles klar gemacht. Andererseits erfährt man von ihm nicht viel mehr, als dass er aus Überzeugung Rad fahrender Festspielintendant ist und ein Leben wie ein junger Hund führt. Wenn auf den letzten 100 Seiten dann nicht doch alles auf- und damit anders käme, hätte das Buch so gut wie keine Handlung, und sowas ist man von Frau Kecht nicht gewohnt.

Einzig eine Stelle erzeugte bei mir das bekannte Knecht-Lese-Feeling: Als von Helens Kuchen die Rede ist, das ist echt spannend und aus meiner Sicht sind das die besten 10-15 Seiten im Buch. Ja, Knecht hat den Blick ins innere, den kann sie, das zeigt sie auch gerne. Aber das nächste Mal wären halt wieder etwas vielschichtigere Objekte der Beobachtung nicht schlecht, Frau Knecht (Sorry. Keine Absicht, ehrlich! Kam einfach so aus der Tastatur. Sie kennen das ja. Aber.)

David Krems: "Falsches Licht"

Schotter war einmal erfolgreicher und bekannter Berufsfotograph, lichtete die Schönen ab, die Reichen, die Wichtigen. Damals, als die Welt noch analog war, ebenso wie die Fotographie, die einmal ein Handwerk war, das man erlernen mußte, und zu dem man eine Portion künstlerischer Begabung benötigte. Als die Zeiten dann digital wurden und mit ihnen die Fotographie, da zog Schotter sich zurück aus diesem Gewerbe, genug Geld hatte er ja, außerdem verdient er im Copyshop seines Freundes Josef, dem er erklärte, nie wieder fotographieren zu wollen, noch etwas dazu.

 

Eines Tages bekommt Schotter Besuch von früher: Sachs, ein zwielichtiger Unternehmer fordert von ihm die Fotos, die Schotter von dessen Frau Tanja damals vor vielen Jahren gemacht hat, als er den Auftrag gab, sie wegen eines vermuteten Liebhabers zu observieren. Schotter weiß nicht mehr, warum er damals diesen Auftrag angenommen hatte, der ja gar nicht sein Metier gewesen ist, jedenfalls aber wurden Tanja und er ein Liebespaar, Sachs war nun also der tatsächlich Betrogene. Tanja, schon damals chronisch krank, beendete die Beziehung, Schotter hörte nichts mehr von ihr.

 

Jetzt will also Sachs die Fotos von damals, doch Schotter findet die Fotos nicht so schnell: einerseits, weil sein Archiv nicht das bestgeordnete ist und vor allem, weil es ihm widerstrebt, Sachs die Fotos auszuhändigen. Außerdem findet sich ein zweiter Interessent für die Fotos: Alka, der Zwillingsbruder von Tanja überredet Schotter, Sachs die Fotos vorzuenthalten. Von ihm erfährt er von Tanja auch, was er nicht über sie wußte, worüber die beiden als Liebepaar nie gesprochen hatten: Tanjas Herkunft. Aufgewachsen im Dunstkreis des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu war sie nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa in die Ehe mit Sachs geflüchtet, die ihr Reichtum und Sicherheit bieten konnte. Von Liebe war nie die Rede gewesen. Außerdem erfährt Schotter von Tanjas Tod.

 

In einer weiteren Zusammenkunft mit dem höchst unangenehmen Sachs erwähnt dieser ein Kind, von dem Schotter klar wird, dass es sich um seine Tochter handeln muss. Bei den geforderten Fotos handelt es sich um Beweisstücke zu einem illegalen Geschäft von damals, und Schotter beschließt, Sachs die Adresse der Tochter, welche in Amerika lebt, abzuluchsen. Er entwickelt einen schlauen Plan.

 

Vor seiner Abreise nach Amerika nimmt er aus der Vitrine die Kamera, die er einmal Tanja geborgt hatte, um, wie er Josef erzählt, damit zum ersten Mal seine Tochter zu fotographieren.

 

Ein bisschen Krimi, ein bisschen Liebe und Eifersucht, eine europäische Hauptstadt (vermutlich Wien, auch wenn ich mich nicht erinnere, dass diese explizit genannt wurde), die Adria und Berge, geschickt spinnt Krems einen Roman, der wie ein französicher Schwarz-Weiß-Film mit Michel Piccoli und Romy Schneider vor meinem inneren Auge abgelaufen ist, während ich das Buch las. Sehr schön, sehr stimmig, wenn auch stellenweise etwas klischeehaft,: die Schöne aus dem Osten, der Profi-Fotograf, dessen Gegenspieler Sachs so heißt wie eben einer dieser Jetset-Fotografen von damals. Aber das passte gut. Außerdem schön, mal wieder was von Entwicklerdosen und Stoppbädern gelesen zu haben, Dinge die ich auch oft verwendete beim Foto entwickeln damals, die einfach aus dem Leben verschwunden sind. Ich bin allerdings - im Gegensatz zu Schotter - ein unbedingter Freund der digitalen Fotografie.

 

Stephan Kutzenberger: "FrIedinger"

Farce und Krimi, Kreta und Linz, Klimt und Kanonen

 

"Oje, ein Roman über einen Schriftsteller mit Schreibblockade. Nicht schon wieder, bitte!" Das waren meine Gedanken zu Beginn des Buches. Wenn ein Schriftsteller nicht mehr weiß, worüber er schreiben soll, dann soll er es doch bitte einfach lassen.

Rasch aber merkte ich, dass das hier schon ein bisschen anders gelagert ist. Der Ich-Erzähler präsentiert den LeserInnen die Geschichte von Friedinger, den er auf seinem Schreiburlaub auf Kreta kennenlernt. Es ist dies ein eher verworrener Krimi-Plot um illegale Waffenexporte in den 1980er Jahren, als die Vöest den Iran und Irak gleichermaßen mit Kanonen belieferte, und dann ist in der einen Transportkiste, um die es geht, dann doch etwas ganz anderes enthalten, womit man jetzt nicht gerechnet unbedingt hätte. DIe Krimi-Geschichte spielt aber bis in die jüngste Vergangenheit hinein.

Doch so einfach lässt uns Kutzenberger nicht davonkommen, denn Friedinger erzählt dem Ich-Erzähler, der trotz seiner 45 Lenze noch immer nicht im Erwachsenenleben angekommen zu sein scheint, seine Geschichte nicht nur beim gemeinsamen Saufen in heißen griechischen Nächten auf Kreta, unterbrochen von Wanderungen mit zwei jungen französichen Mädchen, die für das endgültige(?) Scheitern seiner Ehe verantwortlich sind, auch wenn es nicht zum Austausch von Körperflüssigkeiten kommt, sondern auch in seinem Haus, das gleich in der Nähe des Elternhauses des Ich-Erzählers liegt, in St. Magdalena im Norden von Linz/Urfahr. Kutzenberger springt dabei zwischen den Zeiten und Orten des Geschehens so umher. dass die ohnehin verworrene Geschichte (Vöest-Waffenexport) in der Geschichte (Scheitern als Ehemann und Schriftsteller) eine recht hohe Aufmerksamkeit von den LeserInnen verlangt.

Obwohl der ganze Trubel recht konsistent erscheint, gleichzeitig mit viel Humor erzählt wird, Kutzenberger durch so manches Bonmot und stellenweise auch sprachlich überrascht, konnte ich nicht fünfstern-glücklich werden mit dem Buch, ohne genau sagen zu können, warum eigentlich. Vielleicht liegt es an meiner Abneigung gegen Linz, und ich darf die haben, denn ich habe dort 26 Jahre lang gelebt. Vielleicht aber liegt es an meiner grundsätzlichen Abneigung gegen diese Unzahl von Romanen und Krimis, die derzeit das Lokalkolorit ausnutzen, das für viele Menschen ein Kaufargument für ein Buch ist. Unfair, ich weiß. Dass da ein weiterer höchst skurriler Kriminalbeamter seine Arbeit tut, trägt wahrscheinlich auch dazu bei. Wie schön wäre es, träte mal zu Abwechslung ein Polizist auf, der keine Mischung aus Louis de Funes, Stockinger und Columbo ist sondern ein durchschnittlicher Mensch mit langweiligem Wesen. Aber Krimi ist ja sowieso nicht meins.

Lustig zwischendurch, liest sich gut und schnell.

 

Gelesen April 2018