O - ORTHEIL

Hanns-Joseph Ortheil: Im Licht der Lagune

Der profunde Venedig-Kenner Ortheil beweist mit diesem Buch Mut: Ein historischer Liebesroman, der zeitlich am Ende der Republik Venedig, als der Glanz der Lagunenstadt endgültig dicke Patina anzusetzen beginnt, angesiedelt ist. Das kann doch nur schiefgehen?! Nein, das muss es nicht.

 

Conte Paolo di Barbera entdeckt auf der Jagd in der Lagune einen nackten, äußerst schönen jungen Mann, den er für tot hält. Er läßt ihn zu seinem Freund, den Abt des Klosters auf San Giorgio bringen, wo der Totgeglaubte aber wieder zum Leben erwacht. Andrea, so wird der junge Mann genannt, kann sich an nichts erinnern und wird so etwas wie der Ziehsohn des Conte, der selbst unverheiratet und daher kinderlos ist, was insofern ein Problem darstellt, da nach den Gesetzen der Republik Venedig ein Palazzo, in dem es keinen männlichen Nachkommen gibt, dem Staate anheimfällt. Andrea entwickelt außergewöhnliche Fähigkeiten, unter anderem erkennt er die Frische und Qualität von Fischen wie kein anderer, vor allem aber zeichnet er aus dem Gedächtnis mit einer Detailgenauigkeit, die der Conte, ein Kunstkenner und -liebhaber, nicht nur schätzt, sondern auch als zukünftige Einnahmequelle erkennt.

 

Im Palazzo nebenan residieren die Nardis, ein nicht ganz so edles und altes Geschlecht wie di Barbera, allerdings verfügt der alte Giovanni Nardi über ein beträchtliches Vermögen, aber auch er ist ohne männlichen Nachkommen. Seine schöne Tochter Caterina, eben erst aus dem Kloster, in dem sie ausgebildet wurde, zurückgekehrt, erweckt das Begehren von Conte Paolo, allerdings erkennt auch er den gewaltigen Alterunterschied, der die beiden trennt. Da Heirat zur dieser Zeit aber eher Politik im Hinterkopf hat als Gefühle, will er dem alten Nardi bald eröffnen, dass er Caterina zu ehelichen gedenkt. Nardi kommt ihm allerdings zuvor und schlägt eine Heirat mit Paolos jüngerem Bruder Antonio, der in London Kunsthändler ist, vor, ein Angebot, das Paolo nicht ausschlagen kann, will er sich nicht lächerlich machen. Durch die Hochzeit kann Caterina im Palazzo bleiben, Antonio würde zu ihr ziehen und durch die gemeinsamen Kinder würde der Nardische Besitz nach dem Tod des alten Nardi nicht an die Republik fallen.

 

So kommt es wenige Wochen später zu einer prunkvollen Hochzeit, allerdings zeigt Antonio wenig Interesse an Caterina und reist bald wieder nach London ab. Die Rückkehr nach Venedig und die Zeugung gemeinsamer Nachkommen soll später stattfinden. Wie jede Frau von Stand erhält auch Caterina einen Cicibeo, einen Mann, der sie in der Öffentlichkeit unterhalten und schützen soll. Ein Cicibeo darf sich immer in unmittelbarer Nähe der Ehefrau aufhalten, auch bei so intimen Tätigkeiten wie dem Ankleiden hilfreich sein. Er darf nur eines nicht: mit der Frau, deren Wohl ihm in Abwesenheit des Ehemannes anvertraut ist, sexuell verkehren. Der Cicibeo wird bereits vor der Hochzeit ausgesucht, er ist im Venedig dieser Zeit Teil des Hochzeitsvertrages. Und Caterina hat sich natürlich Andrea ausgesucht, den geheimnisvollen schönen jungen Mann, der in den Diensten des Conte Paolo stand.

 

Es besteht aber auch weiterhin, während der ersten Monate nach der Hochzeit, in der Caterina aufblüht und all die Vergnügungen, die Venedig einer jungen Ehefrau zu bieten hat, die Vereinbarung zwischen Andrea und Conte Paolo, dass Andrea alle Zeichnungen, die er anfertigt, seinem Retter auszuhändigen hat. Paolo bitte Andrea, auch Caterina zu zeichnen, als er die Zeichnungen erhält, entwickelt er eine seltsame Obsession für die Abbildungen.

 

Das Drama nimmt seinen Lauf, als Caterina und ihr Cicibeo sich so nahekommen, wie es in der Republik strafbar ist. Als Conte Paolo die Zeichnungen, die Andrea von Caterina anfertigt, nackt, im Beischlaf mit Andrea, entdeckt, denunziiert er Andrea aus Eifersucht beim Großen Rat, der damaligen Gerichtsbarkeit Venedigs. Andrea wird verhaftet und durch ein geheimes Urteil für mehrere Jahre inhaftiert.  Andrea fühlt sich nun bereit, das zu tun, was er in Freiheit nicht vermochte, nämlich Bilder in Öl zu malen, also das, was sich der Conte als die größte Einkommensquelle aus der Person Andreas erhoffte. Aber er wird bitter enttäuscht, denn die Gemälde, die Andrea im Gefängnis anfertigt, sind keine gewöhnlichen Ansichten Venedigs, wie er von sie Canaletto oder Guardi kennt, sondern Lichtmalereien, die die Stadt in einer unerhörten Weise verschwommen und ungenau zeigen - Gemälde nach der Art des Briten William Turner, der ja einen großen Einfluss auf die späteren Impressionisten hatte. Der Conte ist enttäuscht und lässt die Bilder wegwerfen.

 

Caterina, die in ihrer Trauer um den Verlust Andreas verblüht, nähert sich dem Conte an, dieser erkennt seinen Platz als Freund Caterinas, aber nie als deren Liebhaber. Sie hatte ihre Liebe in Andrea gefunden, niemand wird diesen Platz jemals wieder einnehmen können.

 

Ja, es ist dies ein historischer Liebesroman, der zudem alle Klischees, die man von junger Liebe zu kennen meint, eingefaßt in den Prunk des venezianischen Adels, erfüllt. Dennoch schafft es Ortheil, Distanz zu seinen Figuren und deren Handlungen zu erhalten, auch bei seinen LeserInnen, also zumindest bei mir. Er beschreibt Venedig, dass man es gleichzeitig fühlen, sehen und riechen kann, und er scheut sich auch nicht, den ersten Beischlaf von Caterina und Andrea zu beschreiben, schön, gefühlvoll, ohne ins Kitschige abzugleiten, sensibel und genau. Er bedient sich dabei der Technik, die er später Andrea bei bei seiner Ölmalerei verwenden lässt, andeutend, aber dennoch ist klar erkennbar, was gerade vor sich geht, voller Gefühl, voller Zuneigung. Ich glaube, noch nie einen Liebesakt dermaßen schön und gleichzeitig nicht peinlich berührt gelesen zu haben. Aber auch sonst wuchsen mir die Figuren ans Herz, die Beschreibungen der Stadt sowieso.

 

Wenn mich also irgendwann einmal jemand fragt, ob ich schon einen schönen Liebesroman, der in Venedig spielt, gelesen habe, dann werde ich ohne zu zögern neben "Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz" von Fruttero und Lucentini dieses Buch nennen.

 

Gelesen 2018-03

Hanns-Josef Ortheil: Venedig - Eine Verführung

Wenn man dieses Buch kauft, weil man einen Reiseführer braucht, dann ist das nicht ganz die richtige Wahl, denn Ortheil, ein profunder Kenner von Kunst und Örtlichkeiten Venedigs schrieb es eher für die, die ohnehin schon infiziert sind von dieser seltsamen Stadt, die die ausgetretenen Touristenwege nicht mehr gehe wollen, sondern das andere, das sich nach der großen Vergangenheit sehnende Venedig erleben wollen.

Und Ortheil gelingt es mit dem Buch, Information mit Emotion zu verbinden, und womit ginge dies besser als über Essen und Trinken, die Lieblingsbeschäftigungen der EinwohnerInnen? So nimmt einen Ortheil an der Hand und führt die LeserInnen durch die verschiedenen Viertel um dort und da einzukehren auf mehr als Ombra und Chicceti. Praktischer Weise enthält das Buch auch einige Rezepte venezianischer Spezialitäten, meist einfach nachzukochen, so wie italienische Küche eben ist.

Ich habs gelesen und gleich wieder einen Aufenthalt in Venedig fixiert. Und dieses Büchlein kommt diesmal mit, denn es enthält viele Hinweise abseits von Markusplatz und Touristenfallen.