R - ROTH

Gerhard Roth - Die Irrfahrt des Michael Aldrian

Tintrothetto


Vorweg: ich lese alles von Gerhard Roth. Die Bücher der Zyklen "Archive des Schweigens" und "Orkus" sind für mich Konstanten meines Leseverhaltens; immer wieder werden sie aus den Regalen genommen und erneut gelesen.

Nun also ein venezianischer Zyklus, der erste von drei geplanten Bänden. Da ist die Freude schon groß, denn Roths immer opulenter Sprachgebrauch in die Lagunenstadt versetzt: wer denkt da nicht sofort an Tintoretto und Tiepolo, Großformate von erdrückender Detailverliebtheit, feinster Zieselierung, Gerüchen, die man aus den Leinwänden kommend zu riechen meint, Farbenpracht und Formenvielfalt, hell und dunkel? Beschrieben, nicht gemalt.

Natürlich enttäuscht dieses Buch in diesen Kategorien nicht, Roth könnte vermutlich gar kein Buch schreiben, das man diesbezüglich als schlecht empfinden könnte. Wie immer in seinen Büchern ist die bedrohliche Grundstimmung von der ersten Seite an zu spüren, als Michael Aldrian nach Venedig aufbricht um dort seinen Bruder Jakob und dessen Ehefrau Elena zu besuchen und einen Reiseführer über Venedig zu schreiben. Den schreibt dann allerdings Roth selbst, denn die Irrfahrt des Michael Aldrian auf der Suche nach Bruder und Schwägerin durch das Venedig zur Karnevalszeit ist mehr eine Beschreibung der weniger bekannten Orte der Stadt, im Stile der oben erwähnten Renaissance-Maler: üppig, geruchvoll, schweiss- und blutgetränkt, bedrohlich, wolkenverhangen, brennend, rauchend, schwankend, verwirrend.

Roths Bücher beinhalten meist eine Kriminalhandlung im Umfang einer Gräte im Gesamtskelett des stinkenden Fisches, doch diesmal hat sich Roth entschlossen, der Kriminalhandlung die Rolle des Rückgrates zu geben, sie beherrscht das gesamte Buch. Ob das sehr glücklich ist, bezweifle ich, denn sie bewegt sich sehr hart an der Grenze des Glaubhaften, allzu einfach ist es für den Titelhelden, immer wieder davonzukommen. Da ich aber dem klassischen Krimi ohnehin nur wenig abgewinnen kann, war mir das egal, ich legte mein Hauptaugenmerk auf die überbordend detailverliebe Sprache des Buches, und damit sind die fünf Sterne leicht zu rechtfertigen. Nicht unerwähnt soll die zarte Liebesgeschichte bleiben, die sich zwischen Michael und Beatrice entspinnt, denn Venedig ohne Liebe? Eben.

Ich war erst letzten Winter in Venedig, aber dieses Buch hat mir enorme Lust auf ein baldiges Wiedersehen gemacht. Danke, Gerhard Roth!